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| von Jonah Pavic

Das tote Verbot

Über das Handyverbot an der Stein-Schule und den Neuentwurf der Schulordnung

Gefühlt schon immer gilt ein Verbot für Handys an unserer Schule. Doch niemand hält sich dran. Jetzt arbeitet die Schulleitung an einem neuen Entwurf der Schulordnung - und das nicht ohne Gegenwind.

Pausengong. Die Klassengespräche werden laut und die Geräusche von sich öffnenden Reißverschlüssen gelangen in die Ohren. Der Griff zum Handy fällt gar nicht mehr auf. Ein Automatismus. Und mal ganz im Ernst - warum sollte man sich überhaupt Sorgen machen? Kein Wort von der Lehrkraft - man weiß schon, vor wem man sich verstecken muss. Egal, ob vor, nach oder während des Unterrichts. Der kleine Taschencomputer ist ein fester Bestandteil des Schulalltags geworden.

Bei einigen Schülerinnen und Schüler erkundige ich mich, ob sie mir Fragen zu ihrem Umgang mit dem Handyverbot beantworten möchten. Einer sagte zu, unter der Voraussetzung, anonym zu bleiben.

Wir treffen uns in der siebten Stunde vor der Mediothek, unser Gespräch findet im Computerraum D204 statt, es herrscht eine lockere Atmosphäre. »Nein, das juckt mich nicht«, sagt er, als ich ihn frage, ob er sich an das Handyverbot hält. Einen so wichtigen Teil aus seinem Alltag könne er sich unmöglich wegdenken. Er selbst sei sich der Konsequenzen - der schlechteren Konzentration, Noten - bewusst. »Es gehört einfach dazu«, so sagt er, »Oft schreibt dir einfach jemand, dem du antworten möchtest.«

Mit dieser sicher groß verbreiteten Einstellung der Schüler wird es wohl eher schwierig sein, ein Verbot durchzusetzen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Mehrheit der Schüler mit digitalen Medien  aufgewachsen ist - und sich auch schwer von diesen trennen lassen wird.

Verbote seien nie die beste Lösung, behauptet der Schüler. »Wer soll das denn kontrollieren? Den Schülern müssen die Konsequenzen, beispielsweise durch das unzulässige Schießen von Bildern, bewusst gemacht werden«, erklärt er.

Auch die anderen, die gerade im Raum sind, benutzen ihr Handy, schauen Videos, schreiben Nachrichten. Viel miteinander geredet wird nicht.

Dass es Jugendlichen, die ihre eigene Bildschirmzeit geringhalten, psychisch besser geht, wird immer wieder von Studien gezeigt. So zum Beispiel eine im Jahre 2020 im Wissenschaftsjournal Preventive Medicine erschienene Datenerhebung mit Fokus auf Jugendlichen.

Mehr Aufklärung müsse es geben, meint der Schüler. »Das könnte beispielsweise in den Klassenlehrerstunden, die in den fünften und sechsten Klassen noch stattfinden,  umgesetzt werden.« Das heißt dann wohl auch neue Fortbildungen für Lehrer, die ja auch noch Zeit zum Unterrichten finden müssen.

Derzeit arbeitet eine Gruppe von Schüler-, Eltern- und Lehrervertretern an einer neuen Schulordnung, die den Umgang mit technischen Geräten in der Schule regeln soll: »Das wird wieder katastrophal«, sagt der Schüler. »Die Lehrer sind doch sowieso nicht in der Lage, die Schüler zu verstehen.«

Dass sich kaum einer an die Regeln in der Schulordnung hält, ist auch der Schulleitung bewusst. »Es muss klare Regeln geben«, sagt Herr Müller.

Er habe die Arbeitsgruppe aufgrund der bekannten Probleme ins Leben gerufen. Die Ziele des Teams seien eine Regelung, die sowohl die eher liberalen Forderungen der Schülerschaft als auch die pädagogischen Aspekte berücksichtige. Ein Beispiel dafür: »In der Mensa wird mittags bei der Essensausgabe voraussichtlich ein Handyverbot für alle gelten«, das Handy am Tisch passe nicht zu unserer Esskultur, so Herr Müller. Außerdem habe man nicht nur den Schülern, sondern auch den Eltern gegenüber eine erzieherische Verantwortung.   Klar, es wird Regelverstöße geben, aber »das Eingreifen der Lehrkräfte« müsse gewährleistet werden. Nur so könne die Schule auch ein Lernort bleiben. Auf den Vorschlag des Schülers, für mehr Aufklärung zu sorgen, reagierte Herr Müller aufgeschlossen: Mit Herrn Groß gebe es an der Schule einen passionierten Jugend- und Medienschützer, durch den Veranstaltungen und Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen werden könnten.

Vom Verwaltungstrakt aus geht es über die Brücke im Atrium ins oLaF. An der Decke strahlt ein Leuchtpanel. Jede Ablagefläche ist besetzt mit Geräten, Werkzeugen, Erfindungen. Ist das Chaos oder Ideenvielfalt?

Im Nachbarraum befinden sich bereits einige Schülerinnen und Schüler. Eine trägt Kopfhörer und hört sich Musik an. Oder vielleicht einen Podcast? Ein anderer sitzt an seinem Laptop und programmiert. Man merkt: Hier liegt die Technikhochburg der Schule.

Herr Groß leitet nicht nur das oLaF. Er ist auch studierter Medienpädagoge und hält Elternabende für die 5. und 6. Klassen zum Thema Medienschutz. Warum? Ihn störe der Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander: »Allein, wie die sich ansprechen: ›Digga!‹, ›Alter!‹«

Aber es bleibe nicht nur beim Sprachgebrauch. Opfer von (Cyber-)Mobbing hätten Angst, zur Schule zu kommen, eine Schülerin habe Suizidversuche unternommen. Das alles seien keine Besonderheiten mehr für ihn als Vertrauenslehrer. Und er sieht dabei Schüler und Eltern gleichsam in der Verantwortung: Eltern riefen ihren Kindern ständig »Jetzt mach endlich das Ding aus!« zu. »Wenn dann den Kleinen etwas wirklich Schlimmes passiert - egal, ob im Internet oder in der Schule - dann werden sie das niemals den Eltern sagen«, erzählt er.

Der Ansatz also: Kinder und Eltern nehmen zusammen an einem Elternabend teil und Herr Groß erklärt, wie wichtig die Kommunikation zwischen den beiden für das Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler ist. Löst er damit das Problem? »Nein. Aber die Eltern denken nach«, meint Herr Groß. Neben den rechtlichen Konsequenzen bietet er auch konkrete Handlungsschritte an. Im Klassenverband könne man beispielsweise vereinbaren, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Handys jeden Abend abgeben. »Einige lassen sich spät nachts vom Wecker wachrütteln, damit sie den Anschluss an ihr Online-Leben nicht verlieren.«

Aber nicht nur die Kleinen machten Fehler, auch Oberstufenschüler hätten kein Bewusstsein für ihren »digitalen Fußabdruck.« Zurzeit mache das Datensammeln im großen Stil fast keinem Sorgen, doch man müsse nur einen kurzen Blick nach Hongkong oder das Amsterdam der 40er Jahre werfen: »Nur dadurch, dass von allen Bürgern Daten - also Name, Adresse und ganz wichtig: Glaube - gesammelt wurden, wussten die Nazis, dass sich unter den Juden offensichtlich auch eine Anne Frank versteckt hielt.«

Dieses fehlende Bewusstsein werde auch am iPad-Trend unserer Schule sichtbar. »Erstens ist das iPad ein Statussymbol«, meint Herr Groß. »Man sollte sich Geräte doch kaufen, weil sie gut sind, das ist wie mit einer Regenjacke: Die kaufe ich ja auch, weil sie mich im Unwetter schützt, nicht weil sie von einer besonderen Marke hergestellt worden ist.« Und (zweitens) während Apple all unsere Daten zusammenführe, begäben wir uns (drittens) in eine Abhängigkeit: »Was macht ihr, wenn Apple nicht mehr da ist?«

Es wird nicht nur an einem „Update“ der Schulordnung gearbeitet, es gibt außerdem Entwürfe zu einer neuen Nutzungsordnung für die innerunterrichtliche Nutzung von Handys und iPads. Einer dieser Entwürfe zur Nutzungsordnung liegt der STEIN vor. Es heißt sinngemäß, dass Schülerinnen und Schüler verpflichtet sind, von der Schule vorgeschriebene Software zu installieren. Beispiele dafür sind die Classroom-Apps von Google und Apple - die den Lehrern erhebliche Zugriffe auf die Geräte der Schüler geben, was auch datenschutzrechtliche Bedenken mit sich führe. Herr Groß sei außerdem der Meinung: »Einen Diskurs voranzutreiben ist viel wichtiger. Wie viele Schüler wissen denn überhaupt gerade, dass eine Nutzungsordnung zur Diskussion steht?« Verbote, die nur in Schulen gelten, seien zu realitätsfern.

Es ist 13.40 Uhr. Es haben noch viele Schüler Unterricht, aber die meisten sind schon nicht mehr in der Schule - vielleicht schauen sie auch jetzt gerade auf das Handy, sitzen vorm PC. Und auch in der Pausenhalle leuchten einem einige Displays entgegen. Eine Gruppe von Schülern schaut sich ein Video an und lacht.

Würde sich Herr Müller, dem die Kontrolle durch die Lehrer wichtig ist, an diesem Anblick stören? Den Schüler vom Anfang der Reportage sicher nicht. Die Handys verschwinden jedenfalls, bevor sie jemand einsammeln kann.

Wichtiger scheinen da doch noch die Regeln für die iPads zu sein. Es geht um mehr. Nicht nur das Recht für die Schüler, ein iPad nutzen zu können. Nicht nur den Digitalisierungsgedanken. Wie wir mit dem Digitalen umgehen, kann unsere Zukunft wesentlich beeinflussen - im Guten wie im Schlechten. In einer Gesellschaft, die nicht den Respekt vor der Technologie verliert - oder einer, die ohne die Technologie nicht mehr auskommt.

Ob das von einer Nutzungsordnung abhängt? Eher unwahrscheinlich. Grundsätzlicher ist doch, nicht in all den Datenpaketen, Forderungen und Streitpunkten zu versinken.

Im Sinne aller also: auch mal abschalten und runterfahren.

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